Das Fliewatüüt von Wershofen

Am 1. Adventssonntag erinnerte Otto Betzner vor rund fünfzig aktiven Segelfliegern im großen Saal der Gaststätte Pfahl an die Gründung des Vereins vor 65 Jahren. Der 83-jährige Wershofener ist das letzte lebende Gründungsmitglied der Segelfluggruppe Wershofen und ein echter Zeitzeuge. Die Anwesenden lauschten gebannt seinem Bericht, der für Fliegerherzen wie ein Weihnachtsmärchen klingt. So erfuhren sie von drei Wershofener Pionieren der Luftfahrt, die bereits im Kindesalter und ein Jahrzehnt vor der eigentlichen Vereinsgründung – am 15. November 1952 – fasziniert waren von der Idee, wie einst Otto Lilienthal in die Lüfte aufzusteigen. In seinem Tagebucheintrag schreibt Betzner:

„Sie hatten schon öfter Flugzeuge über Wershofen fliegen sehen, besonders, wenn Rennen auf dem Nürburgring war. In der Zeitung waren manchmal auch Bilder von Flugzeugen zu sehen. Und dann hatte man im Kino auf Pfahls Saal in der Wochenschau genau gesehen, wie Flugzeuge starten und landen. Außerdem hatte der große Bruder von einem dieser Jungen ein Buch mit dem Titel Fliegen lernen.

Die drei Jungen, von denen Betzner hier erzählt, waren der spätere Bürgermeister von Wershofen Peter Udelhofen, Willy Ohlenhardt – sein Sohn ist bis heute Fluglehrer im Verein – und Karl Brenner, Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender. Nach ihm ist auch die Zufahrtsstraße zum Wershofener Flugplatz benannt, so wie es sich für einen ordentlichen Pionier schließlich auch gehört.

Was Sie im Folgenden lesen, weist eher auf einen Lausbubenstreich hin und mutet wie ein Seifenkistenrennen an, doch wird sich die Geschichte in den letzten Kriegsjahren, es muss um 1942 gewesen sein, tatsächlich so zugetragen haben:

„Da hier in Wershofen ja keine Flugzeuge landeten, beschlossen diese Jungs, selber ein Flugzeug zu bauen und legten los. Nach ein paar Wochen war es so weit. Es kam der Tag für den Jungfernflug. Das Fluggelände hatten sie schon lange ausgesucht. Es war der Hang im Süden unterhalb des Dorfes, wo man im Winter so gut Schlitten fahren konnte.

Man hatte einen langen Rollweg von etwa 100 Metern, dann kam eine Sprungschanze, da musste das Flugzeug abheben, über einen Weg fliegen und anschließend auf der gegenüberliegenden Wiese landen. So war es gedacht! Die jungen Konstrukteure gingen nochmal ums Flugzeug. Es musste einfach gut fliegen! Mit seinen hohen Fahrradrädern würde es den Berg hinunter bestimmt die richtige Geschwindigkeit erreichen, um abzuheben.

Die Bretter für die Flügel und den Rumpf – es waren Schalbretter aus dem Sägewert von Nette Scheng – die waren gewiss auch fest genug und die paar Latten von Nachbars Gartenzaun hielten so einen Flug bestimmt auch aus. An Nägeln hatte man nicht gespart. Dann stieg der Pilot ein.

Wochenlang hatte er auf diesen Tag gewartet. Aber jetzt, er sah den steilen Hang, die Sprungschanze, den Seifen, es war ihm zum Fliegen nicht mehr zumute… Doch jetzt kneifen? Nein, das war nicht seine Art und außerdem lag der vorgesehene Landeplatz ja auch in Sichtweite.

Er wurde angeschoben und los ging es. Immer schneller, immer schneller! Dann kam die Sprungschanze, der Abhebepunkt und … die große Überraschung. Nach wenigen Metern zogen sie ihren mutigen Piloten – fast unverletzt – aus den Trümmern.

Was war geschehen? Das Flugzeug hätte doch fliegen müssen! Es war doch wirklich ganz schnell den Hang runtergerollt! Die Räder waren dran geblieben, doch hatte es sich nicht in die Lüfte erhoben. Still und nachdenklich gingen sie den Mehmes Berg hoch, ohne Flieger. Ihr Traum vom Fliegen hatte sich nicht erfüllt. Aber das Verlangen zu fliegen war geblieben.“   →

Heute dürfen die 170 Vereinsmitglieder froh sein, dass die Wershofener Buben seinerzeit nicht aufgegeben hatten. Generationen von Fliegern wurden seither in Wershofen ausgebildet. Dies zeigte sich auch bei der alljährlichen Winterwanderung am ersten Dezemberwochenende, an der altgediente Fliegerinnen und Fliegern, Familien mit Nachwuchs und etliche Jugendliche teilgenommen hatten. Fliegen verbindet die Generationen.

Betzner ließ bei der Gelegenheit nicht unerwähnt, dass sich die Tradition der Winterwanderungen bereits zum 25. Mal jährte, und lobte das Engagement von Bernd van der Mühlen, seines Zeichens Fluglehrer, der die Wanderungen seither plant und durchführt. Beide, Betzner und van der Mühlen, ernteten den Applaus der Anwesenden – und das, wie wir jetzt wissen, an historischer Stelle, da, wo einst die Deutsche Wochenschau zum besten gegeben wurde, damals, als die Medien noch nicht omnipräsent waren wie heute und tollkühne Jungs in tollkühnen Kisten sich im Fliegen probierten …

Was wir durch die lebhafte Schilderung nebenbei erfahren, ist, dass selbst in Kriegstagen auf dem Dorf ein Stück heile Welt erlebbar war. Die Väter dürften im Krieg gewesen sein, die Mütter auf den Feldern. Genügend Freiraum also für die Wershofener Dreikäsehochs, mit ihrem „Modell 1“ aus eigener Flugzeugmanufaktur für ein Schmunzeln zu sorgen. Auch heute noch.

  Gemeinde Wershofen
  Stefan János Wágner, Pressestab Segelfluggruppe Wershofen e.V.